(Geboren zu Beginn des 20. Jh´s in Berlin;
1930- 32 Mitarbeiter des SIMPLIZISSIMUS;
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung
1933 Emigration nach Palästina, dann Staatsbürger
Israels. Gestorben 1997 in Tel Aviv. Die Herausgabe
seines ersten geschlossenen Buches (s.Fußnote)
erlebte er nicht mehr.
Das nachstehende Gedicht wurde von Ernst Stankowski
vertont und am 18. Januar 1988 im "Metropol" Wien
unter dem Arrangement von Alexander Stankowski vorgetragen.
Franz Lichtenstein
DER TRAUERZUG
Es ging ein Mann des Wegs dahin
so ganz für sich allein...
Er hatte weiter nichts im Sinn,
das soll manchmal so sein.
Da traf er einen Trauerzug,
weil man grad wen zu Grabe trug.
Und kurz und gut, so war der Mann,
als er den sah, schloss er sich an.
Er schloss sich einfach an.
Und jeder, der von ungefähr
so grad vorüberschritt,
der machte es genau wie er:
Er ging ganz einfach mit.
Und keiner fragte in dem Zug,
wen man da vorn zu Grabe trug.
Ein jeder tat wie unser Mann,
er schloss sich einfach an.
So wuchs der Zug, es wuchs der Zug,
es stockte der Verkehr.
Dass man da wen zu Grabe trug,
das sah man längst nicht mehr.
Ein Trupp mit Trommeln war nicht weit,
die Fahne hoch und marschbereit -
Der Trupp sich nicht erst groß besann,
er schloss sich einfach an.
Nun erst bekam die Sache Schwung,
es klappte die Regie.
Mit Stimmkraft und Begeisterung
man "Hoch! und "Nieder!" schrie.
Kurz, jeder kam zu seinem Teil
mit Hoch und Nieder, Sieg und Heil!
Auch Polizei, mit hundert Mann
zu Fuß und Pferde schloß sich an.
Dann wurde ihr das doch zu viel,
drauf ward der Zug gesprengt.
Die ersten waren längst am Ziel,
der Rest ward abgedrängt,
nach links, nach rechts, wie es sich traf,
und jeder folgte treu und brav...
und jeder schloß sich wieder dann
hier links, da rechts dem Zuge an,
er schloss sich einfach an.
Und rechts und links - es wuchs der Zug,
es stockte der Verkehr.
Die Fahne, die voran man trug,
die sah man längst nicht mehr.
Egal, egal, uns ist´s genug,
wir schreiten irgendwo im Zug.
Wir fragen nicht: Hinab? Hinan?
und schließen uns doch Mann für Mann
uns alle an, uns alle an,
uns alle einfach an...
NOTSCHREI EINER KLEINEN SCHAUSPIELERIN
Ich hab Talent! Talent? Ich weiss, ihr lacht-
Talent ist wirklich keine selt´ne Gabe -
Ich hab Talent, ich weiss, dass ich es habe!
Natürlich kommt´s drauf an, was man draus macht.
Ihr solltet mich einmal als Wendla sehn,
als die Prinzessin in "So ist das Leben"!
Wann wird man mir dergleichen Rollen geben?
Ich kann mit jedem doch nicht schlafen gehn!
Das finge sonst mit dem Agenten an
und ginge dann die ganze Stufenleiter,
zum Regisseur, Direktor und so weiter -
Denn alle sind so, alle. Mann für Mann.
Doch manchmal denk ich: was wär das schon?
Wenn´s denn sein muß, was ist schon groß dabei?
Nicht lange mehr, und mir ist´s einerlei.
Kunst ist auch ohne dies Prostitution -
Ich hab Talent! Das teile ich mit vielen.
Ich weiss, das ist noch nichts.Ich brauche Zeit
zu wachsen, werden. Nur Gelegenheit
zu spielen, spielen!
(Erstveröffentlichung im SIMPLICISSIMUS
am 3. November 1930)
DER SCHATTEN
Ein Schatten folgte seinem Herrn
- wie Schatten tun - und tat es gern.
Er folgte ihm, jahrein, jahraus.
Ja, manchmal ging er ihm voraus.
Bald schien er dunkel, drohend fast,
dann heller wieder, halb verblasst.
Vervielfacht manchmal; angesichts
geheimnisvollen Spiels des Lichts.
Ein Schatten, kurz, von echtem Kern,
ein treuer Schatten seines Herrn.
Bis der- in jähem Überschwang -
über den eig´nen Schatten sprang -
Der Schatten aber, angesichts
so frevler Tat, entschwand ins Nichts.
Sein Herr irrt seitdem nackt und bloß
Peter-schlemihl-gleich:
schattenlos.
NEUE ZIRKUSSPIELE
Das Zelt ist hochgespannt und weit,
das Zirkuszelt der neuen Zeit.
Hoch oben ist das Seil gestrafft,
tief unter ihm die Tiefe klafft.
Auf so gefahrvoll schmalem Pfad
nimmt seinen Weg der Akrobat.
Wie Schritt um Schritt zurück er legt,
da pötzlich wird das Seil bewegt,
gelenkt von unsichtbarer Hand.
Die Menge starrt verzückt, gebannt
zum Kuppelraum im grellen Licht -
Wahrt oben der das Gleichgewicht?
Sagt ihm untrüglich der Instinkt,
in welche Richtung es jetzt schwingt?
Weicht er vom Seil nur eine Spur
nach links, nach rechts ab, - schwankt er nur?
Er balanciert, er gleitet, fällt
da ist kein Netz mehr, das ihn hält.
Stille der Spannung - tragbar kaum -
dann dröhnt der Jubel durch den Raum.
Und wieder wird von Wand zu Wand
hoch über uns das Netz gespannt.
Und wieder, wie in alter Zeit
die Opfer sind zum Gruß bereit.
Es grüssen, die dem Tod geweiht,
den Herrscher dieser Neuen Zeit.
Doch der dankt nicht. Er nimmt nicht teil.
Er lächelt nur. Es schwingt das Seil...
LIED VOM SOLDATEN
Das war der Soldat, der stand auf der Wacht
mit übergehängtem Gewehre.
Der stand auf dem Posten bei Tag und bei Nacht -
ein treuer Soldat in dem Heere.
Das war der Soldat, der zog in das Feld
für Vaterland, Freiheit und Ehre.
Der lag in den Gräben, von Flammen erhellt -
ein treuer Soldat in dem Heere.
Das war der Soldat, der stürmte die Höh´n,
mit dem Bajonett am Gewehre.
Im Feuer und im Kanonengedröhn -
ein treuer Soldat in dem Heere.
Und traf ihn die Kugel, so grub man ihn ein,
und später errichtete man einen Stein:
Er fiel auf dem Felde der Ehre -
ein treuer Soldat in dem Heere.
WIEGENLIED
Weine nicht! Warum weinst du, mein Kind?
Das sind nicht die Wölfe. Es heult der Wind.
Es ist nur der Sturm, der das Haus umdrängt
und sich in den Schiefern des Daches verfängt.
Ich baute das Haus, oft sagte ich´s dir.
Dein Vater erst erbt´es von mir.
Ich hab es gebaut, und das Haus steht fest.
Nur, dass er das Dach endlich richten läßt.
Der Sturm hebt die Ziegel, es heult der Wind.
Es gibt keine Wölfe? Da irrst du, mein Kind.
Sie kommen noch immer in Rudeln vor
und fletschen die Zähne und heulen im Chor.
Und hörst du es krachen, so mach dir nichts draus!
Ich baute es gut, und fest steht das Haus.
Das ist nur dein Vater, der unten sich schlägt,
weil er sich nicht mit dem Nachbarn verträgt.
Der Sturm geht vorüber, ich wußte es doch!
Nur unter uns kracht und splittert es noch.
Ich hab Stein auf Stein zu dem Haus einst gelegt,
das in seiner Trunkenheit er jetzt zerschlägt.
Du weinst nicht länger. Es legt sich der Wind.
Du hörst nicht die Wölfe? Nur ich, mein Kind,
ich höre sie heulen, tagein und tagaus -
Schläfst du, mein Kind? G´tt schütze das Haus!
Mai 1983
LEBENSLAUF
Es schildern Dichter ihren Lebenslauf,
die einen im Gedicht, die im Roman -
Getreulich zeichen sie das Auf und Ab
verschlungner Wege oft durchbrochner Bahn -
Zwar geht nicht immer das Exempel auf,
es bleibt ein Rest und vieles ungetan.
Doch wenn der Blick so auf dem Ganzen ruht,
so sehen sie, was war, und es war gut.
Was aber wüßtest du von dir zu sagen?
Mein Leben, sagte ich, fängt heut erst an.
Was wsr, Herr, zähle nicht zu meinen Tagen.
Es war ein Tasten nur, ein Suchen, Jagen
nach einem Bilde, Herr, das mir zwrrann -
Ich bin dem Ziel so fwrn, wie je ich war.
Schenk mir, so flehte ich, ein einzig Jahr,
ein Jahr, auf dem sichtbar dein Segen ruht,
von dem ich sage, wenn ich Abschied nehme:
Ich sehe, Herr, was war, und es war gut.
UND FINDEN WIR NACH LANGEM FERNSEIN HEIM
so blieb vielleicht von unsern Wanderschaften
ein flüchtig Bild uns in der Seele haften,
und aus dem Bilde ward vielleicht ein Reim.
ALTER HAUSSPRUCH
Wer immer in dem Haus hier weilt,
die Tage sind ihm zugeteilt,
weiß keiner, wann es ihn ereilt.
Drum merke dir, der du trittst ein:
so groß der Tag,so hell sein Schein,
der Tag, er kann dein letzter sein.
(Entnommen dem Buch: Franz Lichtenstein, Die Zeit, die uns entglitt
Berlin 1997) Geschütztes Copyright
ISBN 3-923809-73-5)
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2010
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