„Kevin, du weißt, dass ich dich liebe –“
„Scheusal! Du wagst es noch, dieses Wort in den Mund zu nehmen!?“
Eine leere Bierflasche flog an Marcel vorbei und verfehlte seinen Kopf nur um Haaresbreite. Das Projektil knallte mit einem lauten PENG! an die weißgetünchte Wand und ging in einem Haufen Scherben zu Boden.
Die Luft in der kleinen Küche war so dick, dass man sie mit einem Messer hätte schneiden können. Kevin starrte Marcel vom anderen Ende des Tisches aus blutunterlaufenen Augen an. Auf seinen Wangen hatten sich zwei dunkelrote Flecke gebildet, er keuchte hörbar und auf seinen Lippen glänzte ein dünner Speichelfilm.
Wie süß er doch aussah, wenn er in Rage kam, dachte Marcel.
„Kevin … es tut mir leid … Bitte … hör mir zu …“
Kevin fuhr sich mit einer Hand durch die blonden Haare, die sich wild über der Stirn kringelten. „Nein! Ich hab die Schnauze gestrichen voll von deinen Eskapaden. Kaum, dass ich dich zwei Tage allein lasse und –“
„Verzeih mir – bitte! – nur noch dieses eine Mal.“ Marcel ließ sich auf einen Stuhl sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Ich bin ein Hirschkopf …“
„Da hast du allerdings Recht …“
„… und ich weiß, dass ich Mist gebaut hab, okay? Aber … aber … manchmal überkommt es mich einfach … und dann hab ich das Gefühl, den Teufel im Leib zu haben … so, als rutschte mir das ganze Gehirn plötzlich in die Eier … dann kann ich eben nicht anders …“
Kevin verdrehte die Augen.
„… aber ich liebe dich!“
„Ha!“ Kevin schnaubte verächtlich.
Marcel ließ die Hände in den Schoß fallen und schaute seinem Freund direkt in die Augen. „Bitte glaub mir, Kev, es war einfach nur eine … eine b‘soffene Gschicht‘, weiter nichts.“ Seine Stimme wurde ganz weich. „Du weißt ja, wie ich bin, wenn ich einen über den Durst getrunken hab … Am nächsten Morgen hatte ich einen schrecklichen Kater …“
„Geschah dir ganz recht.“
„… und der Typ hat nur noch Tschüss gesagt und ist gegangen. Hab ihn seither nie wieder gesehen – ich schwör’s!“
„Verpiss dich.“
Marcel hob beschwörend die Hände. „Kev, er bedeutet mir nichts. Du weißt, dass du der Einzige bist, für den ich jemals etwas empfunden –“
„Wie konntest du nur … Und dann noch mit einem Schüler!?“
„Na ja, immerhin stand er schon kurz vor der Matura.“ Marcel zuckte die Achseln. „Jedenfalls sah er aus wie fünfundzwanzig. Und dann hättest du mal seine Latte sehen sollen … heiliger Strohsack! …‘ne richtige Kanone … Wer könnte da widerstehen!?“
Kevin riss gleichzeitig Mund und Augen auf. „Monster! Widerling! Knabenkredenzer! Hast du denn gar keinen Genierer!?“
Die dunkelroten Flecken auf Kevins Wangen hatten sich übers ganze Gesicht ausgebreitet. Es schien, als wäre ihm sämtliches Blut in den Kopf gestiegen. Er holte aus und ein zweites Biergeschoss steuerte auf Marcel zu.
Marcel ging schnell in die Hocke und duckte sich, und ein weiteres Mal zerschellte Glas an der Wand hinter seinem Rücken.
Ups! Marcel kratzte sich an dem wie durch ein Wunder unversehrt gebliebenem Kopf. Das hätte er wohl besser nicht sagen sollen. Aber was war denn schließlich so schlimm dabei? Er fühlte sich schlecht wegen seines Seitensprungs, aber bei weitem nicht so schlecht, wie er vorzugeben versuchte. Schließlich hatten er und Kev sich niemals ewige Treue geschworen. Marcel liebte den Sex mit Männern einfach über alles und nutzte jede Gelegenheit, die sich ihm dazu bot. Und letztes Wochenende, als Kevin überstürzt zu seinen Eltern reisen musste, weil beide an Corona erkrankt waren und es sonst niemanden gab, der sich um sie hätte kümmern können, da war er nun in diese verdammte Gay-Bar in der Nähe des Naschmarkts gegangen. Was hätte er denn tun sollen, an einem Samstagabend? Mit ein paar Flaschen Bier und Kartoffelchips vor dem Fernseher lümmeln und sich alte Star-Trek-Filme anschauen?
Kaum, dass er sich an der Theke was zu trinken geholt hatte, da hatte ihn auch schon dieser Gymnasiast angebaggert. Und der Bursch sah einfach verdammt sexy aus. Ein Wort ums andere, und es kam, wie es kommen musste. Marcel hatte den Kerl abgeschleppt und sie hatten es die ganze Nacht und den ganzen Sonntagvormittag lang getrieben – in Kevins Wohnung. Nur mit Mühe hatte Marcel es geschafft, den Arschpauker endlich aus dem Bett zu kriegen und hinaus durch die Tür zu befördern.
Alles wäre gut gegangen, doch leider war Marcel in der ganzen Hektik danach (Kevin konnte jeden Moment zurückkehren) beim Aufräumen nachlässig gewesen und hatte nicht alle Spuren seines Verbrechens beseitigt. Zwei Dinge hatten ihn schließlich verraten. Zum einen die angebrochene Dose Red Bull in der Küche neben dem Waschbecken. „Dieses Zeug trinken doch nur Teenager oder Schwachsinnige“, hatte Kevin naserümpfend gesagt und die Dose prompt in den Müll geworfen. Damit wäre Marcel vielleicht noch durchgekommen, doch als Kevin wenig später auch noch einen aufgerissenen Kondomblister unterm Nachttisch herausfischte und Marcel mit spitzen Fingern vor die Nase hielt, war die Sache endgültig aufgeflogen.
„Mit wem hast du in meinem Bett rumgelottert, hä?“ Kevins hellgrüne Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. In dem Moment sah er hinreißend aus, wie eine Raubkatze kurz vor dem Sprung. Doch angesichts dieses niederschmetternden Beweismittels blieb Marcel nichts anderes übrig, als sein Vergehen reumütig zuzugeben. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas geschah, und bislang war es Marcel jedes Mal gelungen, die Eifersucht seines Lovers zu besänftigen. Am Ende waren sie unvermeidlich in der Knusperkiste gelandet und alles war gut. Doch diesmal war der Streit eskaliert.
ENDE DER LESEPROBE
Texte: Lois Nabakow
Bildmaterialien: samson mcgee/etsy.com
Cover: Lois Nabakow
Lektorat: Sissi Kaiserlos
Korrektorat: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2022
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